Geisterlicht by Marion Zimmer Bradley

Geisterlicht by Marion Zimmer Bradley

Autor:Marion Zimmer Bradley [Bradley, Marion Zimmer]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783625201144
Amazon: 3625201143
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 1998-09-14T22:00:00+00:00


Wahrheit oder Wagnis

Nichts ist so ausgefallen und irrational, als daß einige Philosophen es nicht schon als Wahrheit ausgegeben hätten. JONATHAN SWIFT

Truth lachte hilflos auf und schaute von dem Bild in Caradocs Gesicht. »Auch wenn es so aussieht, ich neige nicht zu Bilderstürmerei. Es ist einfach heruntergefallen.«

War es nicht so?

Caradoc kam auf sie zu. Das Licht ließ sein dunkelbraunes Haar rot erscheinen und umgab seinen modisch kurzen Haarschnitt mit einem schwach glänzenden Glorienschein. Er stand neben ihr und betrachtete ernst den Boden.

»Jemand«, sagte Caradoc nach langer Bedenkzeit, »muß es aufheben und wieder an die Wand hängen. Julian wird verdammt sauer sein.«

Er sagte dies mit düsterem Behagen.

»Die Holztafel scheint nicht zerbrochen zu sein, also ist dem Bild wahrscheinlich nichts passiert«, sagte Truth mit so tröstender Stimme, wie ihr möglich war, »aber der Rahmen ist wohl hinüber.« Caradoc schnaubte vielsagend.

Sie wendete ihren Blick wieder der Wand zu. Hoch oben auf der eierschalenfarbenen Fläche befand sich ein kleiner kreisrunder Fleck, wie ein Kugelloch, in dem die

Kugel noch steckte - die zurückgebliebene Hälfte des Hakens, an dem das Bild aufgehängt gewesen war. Sie schaute zu Boden und sah den Rest davon. Die andere Hälfte des durchtrennten Hakens lag in dem Gipsstaub direkt neben ihren Füßen. Er war so dick wie ihr Finger und sah aus, als wäre er durchtrennt worden.

»Was für ein Schlamassel«, sagte Caradoc, womit er ihre Aufmerksamkeit zurückgewann. »Sie können wirklich von Glück sagen, daß Sie nicht darunter liegen. Ich war auf dem Weg zum Frühstück, da hörte ich es runterfallen - zumindest habe ich geglaubt, daß es das war; es klang wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts. Zuerst dachte ich, es würde donnern.«

Unwillkürlich sah Truth zum Fenster. Der klare blaue Himmel kündigte keine Gewitter an.

»Oh, sicher«, sagte Caradoc, als ob sie gesprochen hätte, »heute abend gibt es einen gewaltigen Sturm - Sie werden sehen.«

Er hielt inne, so wie jemand, der bleiben wollte, aber nicht wußte, ob dies erwünscht war. Truth fragte sich, wie sie bei ihrer Ankunft auf die Bewohner von Shadow's Gate gewirkt haben mußte, wenn er sich ihr gegenüber so verhielt. Sie konnte sich jetzt weniger denn je erlauben, isoliert zu sein und am Rande zu stehen. In dem Kampf, der auf sie zukam, brauchte sie Verbündete, und sie hatte zu lange damit gewartet, sich welche zu suchen.

Sie schob diesen Gedanken aber beiseite, um sich nicht ablenken zu lassen.

»Caradoc«, fragte Truth, »hat irgend jemand schon einmal von Geheimgängen hier in Shadow's Gate gesprochen? Hinter den Wänden zum Beispiel?«

Caradoc runzelte die Stirn. »Es soll einen unter der Küche geben, der zum Stall führt - wo mal ein Stall war,

meine ich, vor über hundert Jahren. Aber ich glaube, daß er zugemacht wurde, damit der Boden in der Küche nicht absinkt - damals, als Blackburn das Haus besaß, hat Julian gesagt. Und ich weiß, daß es Geheimtreppen in den Schlafzimmern im zweiten Stock gibt, die zu den Türmen fuhren. Julian hat sie mir auf den Plänen gezeigt.« Cara-doc sah sie fragend an.

»Aber nicht hier in diesem Raum?« fragte Truth.

»Nein, keine im Erdgeschoß, außer der Küche.



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